Erfahrungsberichte aus der Sicht von mir und meinen Kunden
Aus meiner Facharbeit "Altersturnen - aktive Bewegungstherapie beim geriatrischen Hund" von 2019
Eigene Erfahrung
Im Herbst 2018, knapp 1 Jahr nach Start der Tierphysio-Ausbildung, habe ich beim benachbarten Tierheim angefragt ob ich da auf regelmässiger Basis ehrenamtlich 2 Stunden pro Woche üben/arbeiten darf. Ich hatte festgestellt dass die Hauptschwierigkeit bei der Physiotherapie darin besteht zu beurteilen was sich normal anfühlt und was eher krankhaft. Ich habe rein mit den manuellen Therapien angefangen und bin wegen Naica regelmässig fast verzweifelt weil Sie sich nur unter massivem Leckerliverbrauch überhaupt hat behandeln lassen. An eine Therapie von Jessy war ohne Beisein der Besitzerin überhaupt nicht zu denken. Nach dem absolvierten Kurs aktive Bewegungstherapie habe ich mir bald einige Geräte für zuhause angeschafft und damit begonnen diese auch ins Tierheim mitzunehmen. Der schleichende Wechsel in die Aktive Bewegungstherapie hat bei Naica eine grosse Veränderung gebracht. Das hat mich ermutigt die Versuche auch auf andere Hunde auszuweiten und meine Erfahrungen zu dokumentieren. Ich habe in diesen letzten 7 Monaten mit einer Vielzahl verschiedener Hunde gearbeitet aber die beiden alten Damen Naica und Jessy haben mich dabei am allermeisten gelehrt.

Naica
„Naica 10j DSH-Hündin sehr skeptisch zieht sich immer wieder zurück und zeigt deutliche Schmerzhaftigkeit im Beckenbereich. Hat re einen hypertonen Gracilis sowie eine hypertone Rumpfmuskulatur und deutlich verklebtes Bindegewebe am Schultergürtel.“
So lautete mein erster Eintrag vom 18. Oktober 2018 als ich Naica die Hündin der Tierheimleiterin das erste Mal palpiert habe. Naica hatte schon länger ein Cauda-Equina-Befund und liess sich nur sehr ungerne anfassen. Bis zum Jahresende habe ich nur über passive Moblisiation und Massagen an ihr gearbeitet dann am 3. Januar haben wir die aktive Bewegungstherapie gestartet.
„Bei den aktiven Übungen traut sie sich zum ersten Mal auf die Hinterhand zu steigen und gibt auch freiwillig links die Pfote was ich als tollen Fortschritt werte.“
Unser Start war auf einem sehr bescheidenen Level und ich habe mir nicht viel mehr davon versprochen als die Hinterhand etwas zu stabilisieren. Ende Februar konnten wir aber bereits auch Verbesserungen im ansonsten massiv verklebten Gewebe des Schultergürtels verzeichnen.
„Der Schulterbereich ist erstmals vollkommen unauffällig. Wir arbeiten weiter mit dem Peanut an Kraft und Koordination. Neu machen wir Männchen mit aufstützen auf dem stehenden Peanut.“
Anfangs April verzeichne ich dann erste Erfolge was die Koordination der Hinterhand angeht.
„Naica steht heute zum ersten Mal auf allen vier Pfoten instabil. Vorne auf dem Peanut und hinten auf dem Halbball. Sie schafft es heute auch zum ersten Mal selber mit beiden Hinterläufen auf dem Halbball stehen zu bleiben. Bis jetzt musste ich den zweiten Hinterlauf immer von Hand platzieren.“
Noch mehr als die sichtbaren Trainingsfortschritte hat mich die Veränderung in Naicas Verhalten überzeugt. Während ich Naica anfänglich noch über die ganzen 30minuten durch den Therapieraum hinterherlaufen musste hat sie mich bald winselnd und wedelnd begrüsst und ich muss aufpassen, dass sie mir nicht selbständig auf die ungesicherten Geräte hochsteigt. Mittlerweile lässt sie sich auch gerne knuddeln und toleriert wenn ich auch mal im schmerzhaften Bereich an der Muskulatur arbeite. Bei Ihr habe ich die aktive Bewegungstherapie als „Türöffner“ für eine gute Vertrauensbasis erlebt und das hat mich überzeugt.



Jessy
Jessy eine laut Tierheimangaben 12 Jahre alte Mischlingshündin ist für mich ein kleines Wunder. Sie ist der Grund weshalb ich die ersten Termine nicht ins Besprechungszimmer reindurfte ohne dass davor die Hunde aus dem Raum gesperrt worden sind. Jessy ist schüchtern, mag keine Fremden und sie schnappt. Jessy hat aber auch Ellbogenarthrose und immer mal wieder schlechte Phasen in denen sie auch unter Schmerzmedikation deutlich lahmt.
Unsere Begegnungen haben sich also zu Beginn auf diese schlechten Phasen beschränkt in denen ich ihre schmerzhaften Gelenke palpiert habe während dem sie von ihrer Besitzerin festgehalten worden ist. Ein Traumstart.
Als ich mit Naica aktiv zu arbeiten begonnen habe, hat mich auch bezüglich Jessy der Ehrgeiz gepackt. Schliesslich wäre es für ihre Arthroseerkrankung von Nutzen wenn sie etwas mehr Haltemuskulatur hätte. Ich war aber rasch sehr ernüchtert, weil Jessy, die eigentlich sehr verfressen ist, sich für ein Leckerli von mir noch nicht einmal hingesetzt hat. Sobald das Leckerli für Sie ausser Reichweite war, hat sie sich leicht danach gestreckt und ist dann ziemlich rasch einfach davongelaufen. Dann ende Januar hatte ich mein AHA-Erlebnis mit ihr.
„Heute habe ich ein Balancepad dabei und eher zufällig und wider Erwarten findet Jessy das Pad deutlich weniger schlimm als berührt zu werden. Deshalb fange ich an sie einzeln mit den Vorderpfoten aufs Pad zu locken. Es ist toll dass ich auf diese Art so schnell ein Zugang zu Ihr gefunden habe.“
Es zeigt sich rasch, dass die im Bezug auf Menschen so schüchterne Jessy die Arbeit mit den Geräten absolut toll findet. Mit jeder neuen Übung, zu der sie sich überwinden kann, steigt ihr Selbstvertrauen sichtlich und bald begrüsst sie mich ebenso stürmisch wie Naica. Mitte März halte ich folgendes in meinen Unterlagen fest:
„Die sonst ruhige ängstliche Jessy hat sich heute von einer ganz neuen Seite gezeigt und während Naicas Trainingseinheit regelrecht an der Tür randaliert weil sie offensichtlich auch mitmachen wollte. Entsprechend motiviert war sie dann auch bei den Übungen. Es ist einfach super, wie sie sich in den letzten beiden Wochen geöffnet hat und sich heute schon komplett in Bergziegenposition auf den Halbball rauf traut.“
Mittlerweile ist sie meine Musterschülerin, macht Männchen auf dem Halbball und traut sich sogar aufs fixierte Wackelbrett. Die Arbeit mit ihr macht unglaublich Spass, weil die Fortschritte so deutlich sind.
Bei Jessy zeigen sich die Veränderungen auch im Alltag ganz deutlich. Die neugewonnene Stabilität und koordinative Sicherheit nutzt sie um überall hochzustehen wenn die Leckerlis nicht rasch genug den Weg zu ihr runter finden. Dessen dass der Hund Bewegungsmuster von den Übungen auch in den Alltag übernehmen kann, muss man sich bewusst sein. Ich werte das bei Ihr aber als erfreuliches Zeichen.


